132
„Ja,“ sagte die Wachtel, „nun ist’s an der Zeit;
macht schnell euch, ihr Kinder, zum Abzug bereit!
Wer Nachbarn und Vettern die Arbeit vertraut,
dem wird nur ein Schloß in die Luft gebaut;
doch unter dem Streben der eigenen Hand
erblüht ihm des Werkes vollendeter Stand.“
Die Wachtel entfloh mit den Kleinen geschwind,
und über die Stoppeln ging tags drauf der Wind.
Ernst Langbein.
101. Gesellschaft mit dem Löwen.
Es gesellten sich ein Rind, eine Ziege und ein Schaf zum
Löwen und zogen miteinander auf die Jagd in einen Forst. Als
sie nun einen Hirsch gefangen und in vier Teile gleich geteilet
hatten, sprach der Löwe: „Ihr wisset, daß ein Teil mein ist als
eures Gesellen; das andere gebühret mir als einem Könige unter
den Tieren; das dritte will ich haben darum, daß ich stärker bin
und mehr darnach gelaufen und gearbeitet habe denn ihr alle
drei; wer aber das vierte haben will, der muß mir’s mit Gewalt
nehmen.“ Also mußten die drei für ihre Mühe das Nachsehen
und den Schaden zum Lohne haben. Martin Luther.
102. Line Begegnung.
Der Hochmut ging eines schönen Tages spazieren. Tr trug eine
Jerone aus Seifenblasen auf dem T^opf, und sie schillerten bunt und
prächtig im Sonnenschein. An seinem purpurfarbigen Gewände hingen
zahllose, vergoldete Glaskugeln; die Plattfüße hatte er in Schuhe mit
ungeheuern packen gesteckt und schritt auf ihnen so majestätisch einher
wie ein hölzerner J^önig in der Puppenkomödie. Sein breites Gesicht
strahlte von Selbstzufriedenheit, seine roten, fingerdicken Lippen waren
verächtlich verzogen; aus halbgeschlossenen Lidern blickte er um sich, als
ob nichts da wäre, der Mühe wert, ihm einen ganzen Blick zu gönnen.
Da kam ein Wesen ihm entgegen, bei dessen Erscheinen er stutzte.
Ein Wesen von schlichtem Aussehen; bescheiden sein Gang, seine Haltung,
seine Gebärde; schön sein Angesicht, aus dem ein edler Ernst und tief-
innerlichster Frieden sich malten.
„Weiche mir aus!" rief der Hochmut ihm zu.
„Gern," erwiderte der andre lächelnd und gab Baum.
Dennoch fühlte der Hochmut sich verletzt: „Du lächelst? Wie darfst
du es wagen, zu lächeln in meiner Gegenwart?" schnaubte er und warf
sich wütend auf den Beleidiger.
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Extrahierte Personennamen: Ernst_Langbein Ernst Martin_Luther Ernst
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Leiber der Gefallenen drängte der Schwall, Schild an Schild und Brust
gegen Brust, wie Kampf der Stiere im umhegten Pferche. Da schied
sich das Schlachtenglück von den Alemannen; sie fuhren rückwärts; ihnen
graute vor dem Häuf der sterbenden Genossen. Die Sonne sank, und
das Kriegsheil schwand. Die gelösten Scharen wälzten sich flüchtig zum
Ufer des Stromes, und hinter ihnen stürmten mit Messer und Speer
die Römer wie die Meute hinter dem Hirsche; in den Rhein hinab sprang
das flüchtige Volk; die Sieger am Ufer warfen mit lautem Geschrei die
Speere in ein wildes Gewühl von Männern und Rossen, von toten
Leibern und ertrinkenden Helden."
3. Der Sänger hielt an; ein lautes Stöhnen ging durch die Versamm-
lung; nur einzelne Heilrufe erklangen dazwischen; der Fürst hörte ge-
spannt auf die Ausbrüche des Schmerzes und der Freude^ Dann fuhr
Volkmar fort, indem er die Trauerklänge mit kräftiger Weise vertauschte:
„Der Cäsar trat an den Uferrand und sah lachend hinab in der Männer
Rot. Er rief seinem Bannerträger, der den Drachen trug, das rote
Scheusal, aus Purpur gewirkt, darin ein Gott der Römer gefügt den
Siegeszauber, den Tod der Feinde: ,^Laß schweben den Drachen über der
Flut, daß er seine Zähne zeige und die flammende Zunge dem sterbenden
Volke! In der Luft hoch fliegt er gegen die Himmelshalle der Toten;
wenn sie aufsteigen auf der Wolkenbrücke, so weist er die Zähne; der
Römerdrache hemmt ihnen die Reise, daß sie abwärtsfahren den Weg der
Fische hinab in das Dunkel zu Helas Tor." Da rächte den Hohn der
letzte Held, der mit den Waffen die Römer bestand, Ingo, Ingberts
Sohn vom Vandalenland, der Königsohn aus Göttergeschlecht. Er hatte
gekämpft an König Athanarichs Achsel, voran im Kampfe, ein Schrecken
der Römer. Da das Schlachtenglück sich wendete, schritt er zurück mit
seinem Gesinde, das ihm folgte auf dem Kriegspfade von Land zu Land;
langsam und zornig wie ein brummender Bär wich er zum Ufer, wo am
Fuß des Felsens die Kähne lagen. Dort trieb er zusammen die Frauen
des Heeres, die Schicksalsverkünderinnen, die Blutbesprecherinnen, und
zwang sie zur Abfahrt, daß die heiligen Mütter dem Schwerte der
Römer entrannen. Auch den Sänger drängte er hinab in den Kahn, und
er selbst umschanzte hochherzigen Sinnes die Stelle der Abfahrt mit Waffe
und Leib. Gelöst war das Leitseil; die Kähne schwebten, umschwirrt
von den Speeren der Römer, auf grüner Flut; die Feinde drängten, und
mühsam kämpfte die Schar am Fuß des Felsens den letzten Kampf. Da
schaute der Held auf dem Steine über seinem Haupt den Drachen des
Cäsar, den grimmigen Wurm, und im Sprunge durchbrach er die Wachen
des Römers; er sprang auf den Stein; mit Bärengriff faßte er den
Riesen, der das Banner trug, und warf ihn vom Felsen. Leblos tauchte
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299
in die Fluten der Römer, und das Banner erhebend, rief der Held ge-
waltig den Schlachtruf und sprang mit dem Drachen hinab in den Strom.
Ein Wutgeschrei gellte aus Römermunde; die bittere Schmach vor den
Augen des Cäsar zu rächen, den Kühnen zu schlagen, das heilige Zeichen
der Römer zu retten, warf Mann und Roß sich wie toll in den Strom.
Doch abwärts trieb im wirbelnden Strome der rote Drache, der siegreiche
Held. Roch einmal sah ich den Arm ihn heben und schütteln das Banner;
dann sah ich ihn nimmer. Der Cäsar ließ suchen an des Stromes Rand
auf beiden Ufern mit trübem Sinn; zwei Tage darauf fand weit ab-
wärts ein Späher am Alemannenufer gebrochen den Bannerspeer; den
Drachen des Feindes brachte keiner zurück. Da kehrte den Männern an
den Ufern des Rheins der Mut in die Seelen; der Siegeszauber des
Cäsar war im Strome verloren, und vergeltendes Unheil nahte dem
Römerheere. Gesandte der Chatten, die aufwärtskamen, um dem Römer-
volk Bündnis zu bieten, sie hemmten die Reise, da sie erfuhren das
böse Vorzeichen. Gerächt war der Hohn des Siegers durch starken Arm
und geschwunden von der Männererde König Ingo, der Held."
4. Der Sänger schwieg und beugte das Haupt über das Saitenspiel;
still war es in der Halle wie nach einer Totenklage; die Augen der
Männer glänzten, und in den Gesichtern arbeitete die Bewegung, aber
in keinem mehr als in dem des Fremden. Da der Sänger eintrat und
im Vorübergehen sein Gewand berührte, hatte er das Haupt nieder-
gebeugt und, wie sein Nachbar Wolf ohne Freude wahrnahm, an dem
Bericht des Sängers weniger teilgenommen, als einem Krieger schicklich
war, und die Bankgenossen hatten auf ihn gewiesen und spottende Worte
getauscht. Als aber der Sänger von dem Kampf um das Drachenbild
begann, da hob er das Antlitz; ein rosiges Licht flog über seine Züge,
und so strahlend und verklärt war der Blick, den er nach dem Sänger
warf, daß, wer auf ihn sah, die Augen nicht abwenden konnte; wie ein
Goldschein hob sich das helle Lockenhaar um das begeisterte Antlitz. Und
als der Sänger schwieg, saß er noch unbeweglich.
„Sieh dorthin, Volkmar!" rief eine tiefe Frauenstimme, vor Bewegung
zitternd, und alle Blicke folgten der Richtung, nach welcher die Hand
Irmgards wies, die hoch aufgerichtet in der Laube stand.
Der Sänger fuhr empor und starrte nach dein Fremden. „Der Geist
des Stromes gab den Helden zurück!" rief er entsetzt; doch gleich darauf
sprang er vor: „Selig ist der Tag, an dem ich dich schaue, Held Ingo,
Ingberts Sohn, du mein Netter, der letzte Kämpfer in der Alemannen-
schlacht!"
Die Gäste fuhren von ihren Sitzen; die Halle erdröhnte vom Jubel-
ruf. Der Sänger stürzte auf Ingo zu, beugte sich auf feine Hand und
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300
rief: Leibhaftig halte ich dich! Niemals wurde meinem Lied so schöner
Lohn!" So führte er den Fremden an den Tisch des Fürsten, der
ihm mit nassen Augen entgegeneilte: „Gesegnet feist du, heldenhafter
Mann! Heut' fällt mir schwere Last vom Herzen; ich wußte wohl, nicht
läßt sich bergen des Helden Ruhm. Sei gegrüßt in meinem Haufe, du Gast-
freund aus der Väter Zeit! Rückt den Sessel, Knaben, daß der Fürst
sich den Edeln meines Volkes geselle! Trage Wein herzu. Schenk! Im
Festbecher, mit dem Römertrank aus Römergold, trinken wir Heil dem
königlichen Helden, dem Sohn unsrer Götter."
Gustav Freytag (Die Ahnen).
185. Die Nibelungen,
a) Kriemhild und Siegfried.
1. Im Burgundenlande, aus der alten Königsburg zu Worms am
Rheine, wuchs eine edle Königstochter, namens Kriemhild, zur herrlichsten
Jungfrau heran. Nach dem frühen Tode ihres Vaters hatten sie ihre
drei Brüder in ihrer Obhut, die Könige Gunter, Gernot und Gifelher,
denen die besten Recken dienten. Der vornehmste unter ihnen war der
grimme Hagen von Tronje, ein Verwandter des Königshauses.
Einst träumte Kriemhild, sie zöge einen Falken auf und Psiegte
ihn als ihren Schützling manchen Tag, — da stürzen zwei Adler herab
und erdrücken mit ihren grimmen Klauen das zarte Tier vor ihren
Augen. Am Morgen erzählt sie den Traum der lieben Mutter. Diese
deutet: „Der Falke ist ein edler Mann, für welchen du bestimmt bist;
Gott wolle ihn behüten, daß du nicht früh ihn verlierst!"
Heiter in fröhlicher Jugend ist inzwischen im Niederland zu Santen
am Rhein Siegfried, Siegmunds und Siegelindens Sohn, zum Helden
herangewachsen. Er ist schon durch manche Lande gezogen, um feines
Leibes wunderbare Stärke zu versuchen. Da hört er die Kunde von
der schönen Jungfrau zu Worms am Rheine, und er zieht aus der
Heimat mit seinen Mannen, damit er um sie werbe.
2. Vor der Königsburg zu Worms reiten die Fremden auf, stark
wie Riesen, im herrlichen Schmucke der Rüstungen und der Rosse.
Niemand kennt die am Rheinufer haltenden Mannen, niemand ihren
Führer, den königlichen Jüngling. Da wird nach Hagen von Tronje
gesandt, dem alle fremden Lande kund find. Aber auch er hat diese
Helden noch niemals gesehen. „Fürsten oder Fürstenboten müssen es
fein," sagte er. Bald aber fügt er hinzu: „Ich habe zwar noch niemals
Siegfried gesehen, aber ich muß glauben, daß nur er es sein kann, der
dort so herrlich einhergeht. Es ist Siegfried, der das Geschlecht der
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301
Nibelungen besiegte, der den unermeßlichen Schatz an rotem Golde ge-
wann, und der dem Zwerge Alberich die unsichtbar machende Tarnkappe
entriß. Solchen Helden sollen wir freundlich empfangen."
Siegfried wird herrlich empfangen und köstlich bewirtet. Fröhliche
Kampfspiele werden auf dem Hofe des Königspalastes gehalten. Kriem-
hild schaut verstohlen durch das Fenster, und im Anschauen des starken
Heldenjünglings vergißt sie alle Spiele mit den Gefährtinnen. — Ein
ganzes Jahr weilt Siegfried am Hofe der Burgundenkönige, ehe er die,
um welche er wirbt, nur einmal zu sehen bekommt. Er zieht als
Kampfgenosse mit dem Heere der Burgunden hinaus zu manchem Streite,
und überall zeigt er sich als der gewaltigste und siegreichste der Helden.
3. Nach der Rückkehr des Heeres aus dem Kriege wird in Worms
ein großes, heiteres Ritterspiel gehalten. Am Pfingstfeste ziehen von
nah und fern die Höchsten und Besten, unter ihnen allein zweiunddreißig
Fürsten, zum Hofe der Burgundenkönige. Da darf endlich auch Kriem-
hild an der Seite ihrer Mutter im Geleite von hundert geschmückten
Edelfrauen zum erstenmal öffentlich erscheinen.
Nach höfischer Sitte heißt Gunter Siegfried herantreten, daß er
die Schwester begrüße. Und der Held tritt heran und neigt sich vor
der Jungfrau. Noch aber wird kein Wort gewechselt. Erst nach der
Messe, mit der das Fest begann, sagt die Jungfrau dem Helden
Dank für den tapfern Beistand, den er ihren Brüdern geleistet hat.
„Das ist Euch zuliebe geschehen, Kriemhild," antwortet Siegfried,
und nun bleibt er zwölf Tage, die Dauer des Ritterfestes über, in
ihrer Nähe.
Dann ziehen die fremden Gäste von dannen. Auch Siegfried rüstet
sich zur Heimfahrt; doch leicht läßt er sich durch Zureden des jungen
Giselher bestimmen, noch länger da zu verweilen, wo er am liebsten
war, und wo er täglich die schöne Kriemhild sah.
b) Brunhild.
1. Jenseit der See herrschte die Königin Brunhild, eine Jungfrau
von großer Schönheit, aber auch von übernatürlicher Kraft. Mit
Helden, die sie zum Weibe begehrten, warf sie die Lanzen, schleuderte
sie den Wurfstein und sprang dem geworfenen Steine nach in kühnem
Sprunge. Nur dem, der sie in jedem dieser drei Spiele besiegte,
wollte sie ihre Hand reichen. Wer unterlag, verlor sein Haupt. Schon
mancher Held war ausgezogen, um die schöne Jungfrau zu gewinnen,
aber keiner war wiedergekehrt.
Da will auch König Gunter um sie werben, und er fordert Sieg-
fried auf, ihn zu begleiten und ihm bei der Werbung zu helfen. Sieg-
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303
wendet sich augenblicklich zu ihrem Heergefolge und ruft: „Tretet heran!
Ihr sollt König Gunter alle untertan werden!" Alsbald knien die
kühnen Helden vor Gunter nieder und huldigen ihm. Dann rüstet
man sich zur Heimfahrt.
3. In der Königsburg zu Worms wird nun bald ein herrliches
Hochzeitsfest gefeiert. Brunhild wird mit Gunter, Kriemhild aber mit
Siegfried vermählt. Bei der Hochzeitstafel sitzen die beiden Paare
einander gegenüber. Alle sind fröhlich; nur Brunhild sitzt finstern
Antlitzes da. Tränen fallen über die Wangen der schönen, stolzen
Königin, und Gunter fragt sie besorgt, was ihr sei. Brunhild
antwortet: „Um Kriemhild, deine Schwester, weine ich, daß du sie
nicht einem Könige, sondern einem deiner Dienstmannen gegeben und
durch die Heirat mit einem solchen erniedrigt hast." — „Sei stille,"
entgegnet Gunter, „das will ich dir zu anderer Zeit erzählen, warum
ich Siegfried meine Schwester gegeben habe."
c) Der Streit der Königinnen.
1. Fröhlich zieht Siegfried mit der jungen Gemahlin in die Heimat
zu dem lieben Elternpaare. Siegmund tritt dem Sohne Krone und
Reich, Land und Leute ab. Zehn Jahre genießen die Glücklichen ihres
Glückes in tiefem Frieden und seliger Ruhe.
In dem Herzen der starken Brunhild ist aber der übermütige Stolz
auch im Lause der zehn Jahre nicht erloschen. „Wie?" fragt sie oft
ihren Gemahl, „darf Kriemhild sich so stolz gegen uns halten, daß sie
in der langen Reihe von Jahren auch nicht ein einziges Mal an unsern
Hof kommt? Ist nicht Siegfried unser Gefolgsmann? Und zehn
Jahre lang hat er uns keine Dienste geleistet!"
Gunter muß Boten zu Siegfried senden und ihn zu einem fröh-
lichen, großen Feste einladen, das am Hofe der Burgunden zu Worms
gefeiert werden soll. Siegfried geht zu Rate mit seinen Getreuen;
diese sowie der alte Vater, König Siegmund, stimmen dafür, die Ein-
ladung anzunehmen. Mit großem Heergefolge von tausend Edlen
ziehen Siegfried und Kriemhild arglos und unbefangen nach Worms
am Rheine. Reiche Gaben, rotes Gold und strahlende Kleinode führen
sie mit.
2. Glänzender Empfang wartet der Gäste zu Worms. Mit ihnen
strömen zum Ritterspiele Tausende von Rittern durch die Tore der
Königsstadt. In prächtigen Gewändern reiten die Könige mit ihrem
Gefolge durch die Gassen, und herrlich geschmückt sitzen edle Frauen
und schöne Mägdlein in den Fenstern. Posaunen-, Trompeten- und
Flötenhall erfüllt die weite Rheinstadt.
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nicht, kann nicht schweigen. Jammernd, in ohnmächtiger Wut sitzt sie
einsam im Gemache. Dort findet sie Hagen und erfährt von ihr, wie
schwer sie gekränkt sei. Als Hagen seine Herrin und Königin weinen
sieht, da beschließt er in seinem Herzen den Tod Siegfrieds. Es soll
ein falsches Kriegsgerücht verbreitet, das Heer aufgeboten und Siegfried auf
diesem Kriegszuge erschlagen werden.
Die Heerfahrt ist in vollem Gange. Siegfried rüstet sich. Da be-
gibt sich der untreue, grimmige Hagen zu Kriemhild, um der Sitte
gemäß von ihr Abschied zu nehmen. Kriemhild hat den Streit schon
halb vergessen. Daß sie in Hagen denjenigen vor sich sehe, der ihrem
Gatten den Tod geschworen hat, davon kommt auch nicht die leiseste
Ahnung in ihr Herz. „Hagen, du bist mein Verwandter. Wem
soll ich in dem Kriege, der bevorsteht, das Leben meines Sieg-
fried besser anvertrauen als dir? Schütze mir meinen lieben Mann, ich
befehle ihn dir auf deine Treue. Zwar ist er unverwundbar, aber als
er sich im Blute des Drachen badete, fiel ihm zwischen die Schulter-
blätter ein Lindenblatt, so daß diese Stelle, vom Blute unberührt,
verwundbar blieb. Schütze diese Stelle, wenn ein Speer gegen ihn
geflogen kommt!" „Wohl," sagt der Tückische; „um das besser zu
können, nähet mir, königliche Frau, ein Zeichen auf diese Stelle seines
Gewandes, damit ich genau wisse, wie ich ihn zu schützen habe." Und
Kriemhild näht in zärtlicher Liebe mit eigener Hand aus feiner Seide
ein Kreuz auf das Gewand ihres Gatten.
2. Tags darauf beginnt der Kriegszug, und Hagen reitet nahe an Sieg-
fried heran, um zu sehen, ob die Gattin arglos genug gewesen sei, das Zeichen
einzusetzen. Siegfried trägt es wirklich, und nun ist die Heerfahrt nicht weiter
nötig. Hagen hat aus den Händen der Gattin das, was er will — mehr, als
er erwarten konnte. Das Gefolge wird statt in den Krieg zu einer großen
Jagd entboten. — Siegfried und seine treue Gattin sehen sich zum
letztenmal. Bange Ahnungen, schwere Träume beängstigen ihre Seele
wie damals, als sie zuerst von dem Falken und den Adlern träumte.
Jetzt hat sie zwei Berge auf Siegfried fallen und ihn unter den
stürzenden Trümmern verschwinden sehen. Siegfried tröstet sie, nie-
mand trage Haß gegen ihn und könne Haß gegen ihn tragen — allen
habe er Gutes erwiesen, in wenigen Tagen komme er wieder. Was sie
fürchtet, weiß sie nicht; aber sie scheidet von ihrem Gatten mit dem
Worte: „Daß du von mir gehen willst, das tut mir inniglich weh." —
Die Jagd ist beendet. Die Helden, zumal Siegfried, der das
meiste Wild erlegt hatte, sind von dem Rennen in der Sommerhitze
müde und durstig. Doch weder ist Wein vorhanden noch der Rhein-
strom in der Nähe, um aus ihm die ersehnte Labung zu schöpfen. Aber
Dietleins Deutsches Lesebuch Ausg. T>. Teil Iii. 3. Ausl 20
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finden werde. Und so geschieht es auch. Ein Kämmerer geht Kriem-
hild mit dem Licht voran und sieht den Leichnam. „Herrin," sagt er,
„steht stille; da liegt vor dem Frauengemach ein erschlagener Ritter!"
Ein lauter Schrei des Entsetzens ist Kriemhilds Antwort; sie weiß,
wer da erschlagen liegt, ohne daß man es ihr gesagt hat. Und als sie den
Erschlagenen sieht, so sehr er vom Blute übergössen ist, — sie kennt
wohl, auch im bleichen Fackelscheine, die Heldengestalt und die edeln
Züge. „Du bist ermordet," rüst sie, „dein Schild ist nicht zerhauen!
Dem gebührt der Tod, der das getan!" Siegfrieds Mannen werden
geweckt, lauter Jammer erfüllt weit und breit die Säle und Höfe. Zur
Rache scharen sich die Getreuen des erschlagenen Helden; kaum daß
Kriemhild warnen und abwehren kann: es sei jetzt nicht Zeit zur
Rache — dereinst werde sie kommen. Als der Tote auf der Bahre
liegt, kommen die Könige, ihre Brüder, und die Verwandten; auch
Hagen tritt ohne Scheu hinzu. Als Gunter seiner Schwester eben
einzureden sucht, fremde Mörder hätten Siegfried erschlagen, da tritt
Hagen heran, und die Wunden fließen. „Ich kenne die Mörder wohl,"
ruft die Arme, „und Gott wird die Tat an ihnen rächen!"
Der Leichnam ist eingesargt und wird zu Grabe getragen; Kriem-
hild folgt in tiefstem Jammer. Noch einmal aber begehrt sie das
schöne Haupt des Geliebten zu sehen, und der Sarg, aus Gold und
Silber geschmiedet, wird aufgebrochen. Da führt man sie herbei, und
mit ihrer weißen Hand hebt sie noch einmal das Heldenhaupt empor
und drückt einen Kuß auf die bleichen Lippen. Dann bricht sie ohn-
mächtig zusammen und wird von dannen getragen, der edle Held aber
wird bestattet. Nach A. Vilmar
(Geschichte der deutschen Nationalliteratur).
166. Wirhildrbrand mit seinem Sohne Hadubraud kämpfte.
1. Meister Hildebrand war mit König Dietrich nach langem Aufenthalt
bei König Etzel von Hunnenland in seine sonnige Heimat zurückgekehrt.
Eines Morgens früh ritt er gen Bern, um seinen Sohn Hadubraud zu
finden und dessen Treue gegen Dietrich zu erproben. Wohlgemut ritt er
dahin und pfiff ein fröhliches Lied.
„Wenn mein Sohn", sagte er halblaut, „nur recht in die Art seiner
Väter eingeschlagen ist! Aber er ist unter der Obhut seiner einsamen
Mutter aufgewachsen, sie hat ihn vielleicht verzärtelt, daß er im Waffen-
werk ein Stümper ist." Dann aber gedachte er der Kunde, die zu ihm
gedrungen war, daß Hadubraud der größte und tapferste Held diesseits der
Berge sei, und ihm klopfte das Herz wieder vor freudiger Erwartung.
20*
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309
sich des kraftvollen Stoßes, den sein Sohn geführt hatte, und daß er im
Sattel sich behauptete. Nun sprangen beide, der Alte und der Junge,
mit gleicher Gewandtheit von den Rossen und zogen ihre Schwerter, und
es kam zu einem harten Kampfe. Hildebrand hielt zwar anfangs mit
seinem Schwert zurück und suchte sich nur wider die Hiebe seines Gegners
zu decken; denn er wollte ihn nicht verwunden, falls er es vermeiden könnte.
Hadubrand aber drang mit so grimmigen Schlägen und solcher Hitze auf
ihn ein, daß auch er zuletzt in Eifer geriet und die Hiebe erwiderte.
2. Endlich erlahmte die Kraft Hadubrands, und er wich zurück, um auf
seinen Schildrand sich zu stützen und auszuruhen. Auch Hildebrand senkte
sein Schwert, obwohl er die Rast nicht nötig gehabt hätte. Wie sehr er
auch vom Kampf erregt war, schaute er jetzt doch mit wohlgefälligem Lächeln
auf seinen Sohn, dessen Tapferkeit und Mannhaftigkeit er bewunderte.
„Man merkt dir nicht an", sagte er, „daß du deinen Vater nie gekannt
hast. Deine Mutter hat dich gute Schläge gelehrt, du bist im Waffenwerk
wohl erzogen." Doch Hadubrand rief dagegen: „Was sprichst du mir von
Wohlerzogenheit? Sollt' ich von Weibern lernen, das wäre mir Schande
Nun schau, alter Graukopf, welche Streiche mich gute Helden gelehrt haben!"
Und damit sprang er wieder auf seinen Gegner ein, und es rasselten die
Schwerter auf den Schilden, daß die Funken davon stoben.
Lange dauerte dieser neue Kampf, bis der Alte die Gelegenheit ersah,
mit der flachen Seite des Schwertes seinem Sohne einen Hieb auf den
rechten Arm zu geben, daß diesem das Schwert entfiel. Da stürzte sich
Hildebrand auf ihn, umfaßte ihn in der Mitte und schleuderte ihn hin
ins grüne Gras. Dann kniete er ihm auf die Brust nieder und sagte:
„So geschieht dir jungem jetzt von mir altem Mann. Nun sprich, ob du
dich als überwunden bekennst; sonst mußt du auf der Stelle dein Leben
lassen." Vergeblich bemühte sich Hadubrand, dem eisernen Druck sich zu
entziehen. Dann rief er trotzig: „Stoße nur zu! Um mein Leben sorge
ich fortan nicht mehr, wenn eine so alte Graugans mich überwunden
haben soll."
Da lachte der alte Hildebrand und sprach: „Nun hast du gefühlt, daß
der Vater noch Zucht am Sohne zu üben vermag; aber jetzt steh auf, ich
will dir beweisen, daß ich dein Vater bin." Und beide erhoben sich, der
Alte mit heiterem, der Junge mit finsterem Angesicht. Jener aber sagte:
„Nun laß es dich nicht reuen, daß dein Vater dich niedergeworfen hat.
Ich weiß es, die Sage von meinem Tod war weit verbreitet, als ich einst,
da ich für Etzel stritt, auf der Walstatt bewußtlos liegen geblieben war.
Aber sieh hier den Fingerring. Gleicht er nicht genau dem Ringe, den
du oft an der Hand deiner Mutter gesehen hast? Da sieh das eingegrabene
Zeichen!" Und Hadubrand prüfte genau den Reifen, dann aber warf er
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sich plötzlich an die Brust des Alten und rief schluchzend aus: „Mein Vater
mein Vater! Kannst du mir verzeihen, daß ich deinem Worte nicht geglaubt",
und daß ich gegen dich gekämpft habe?" Hildebrand aber küßte mit in-
brünstiger Liebe seinen Sohn und sagte: ,Faß gut sein! Ich habe dich
als tapferen Helden kennen gelernt, und das freut mich. Dein Mißtrauen
gegen mich zeugte von Vorsicht. Nur hättest du nicht gar so hitzig zum
Kampf zu sein brauchen."
Darauf fragte Hildebrand nach seiner Gemahlin Ute, ob sie gesund
sei, und wo sie weile. Vor allem wollte er sein treues Weib jetzt nach
so langer Trennung begrüßen. Hadubrand erwiderte heiter: „Sie weilt
bei mir in meiner Vurg zu Bern. Wie wird sie jubeln, wenn sie dich
wiedersieht! Sie hat die Nachricht von deinem Tode nie geglaubt; trotz
alledem hat sie täglich und stündlich während all der langen Jahre auf
deine Wiederkehr gehofft. Aber sie ist gealtert wie du, auch ihr Haar
bleicht schon."
3. Sie ritten nun fröhlich miteinander in Bern hinein. Es dunkelte
schon, als sie der Burg nahten. Da raunte Hadubrand seinem Vater zu,
indem sein Auge schalkhaft blitzte: „Wenn du nun mit der Mutter zusammen-
triffst, so gib dich nicht sogleich zu erkennen. Ich bringe dich heim, als
wärst du mein Gefangener. Sitzest du dann oben am Tische, wird sie
staunen, daß ich einem Gefangenen solche Ehre erweise; aber sie wird so
auf die Wiedererkennung vorbereitet. Das wird für sie heilsam, für uns
aber lustig sein." Gern willigte der Alte in diesen Scherz.
Sie betraten miteinander die Halle, die vom flackernden Herdfeuer
erhellt war. Frau Ute erwartete bereits ihren Sohn. Auf dem Hochsitz
dampften die zum Mahl einladenden Schüsseln. Fröhlich sagte Hadubrand:
„Hier bring' ich dir einen Gefangenen, liebe Mutter. Er hätte mich aus
der Heide beinahe erschlagen, aber ich habe dir meine Rettung zu verdanken,
du hast mich in meiner Jugend sorglich in Stoß und Sprung unterweisen
lassen. Nun bin ich meines Sieges so froh, daß ich den hungrigen, alten
Mann gerne als Gast beherberge." Fragend blickte Frau Ute bald ihren
Sohn an, bald den fremden Mann, sie wußte sich den Widerspruch in
Hadubrands Worten nicht zu deuten. Sie begrüßte den Gast höflich, aber
gemessen. Sobald sich aber eine schickliche Gelegenheit gab, flüsterte sie
ihrem Sohne zu: „Erweisest du nicht einem gefangenen Mann zu viel
Ehre, wenn du ihn oben an den Tisch setzest?" Doch Hadubrand lächelte
und führte an der Rechten die Mutter, an der Linken den Vater auf den
Hochsitz, während die Mannen im Saale sich an den andern Tischen reihten.
Noch hatte Hildebrand kein Wort besprochen, er wollte sich durch die
Stimme nicht verraten. Aber während sie aßen, blickte Frau Ute ihn oft
forschend und mit Spannung an. Es war ihr immer, als hätte sie diesen
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